Gottes Sinn für Humor
Nun war er tot. So’n Mist.
Siebenundvierzig Jahre und ein Herzinfarkt mit tödlichen Folgen – wo gab’s denn sowas?
Das Verblichenendasein war, so viel musste er zugeben, verwirrend, aber prinzipiell gar nicht so entsetzlich, wie er es sich immer vorgestellt hatte.
Er dachte an seine Frau, die Mutter der Kinder, die sie nie gehabt hatten. Die Beamtenversicherungsanstalt würde ihr was auszahlen. Wenn sie das Loch bezahlt hatte, in das sie ihn vor ein paar Stunden hinabgelassen hatten, würde davon zwar nicht viel übrig bleiben, aber für ’ne Kegeltour sollte es schon noch reichen. Die Frage war bloß: Hatte er auch alle Versicherungspolicen ordnungsgemäß unterschrieben, alle Beiträge überwiesen, und wusste seine Frau, wo der Ordner mit den Papieren war, der Ordner mit der Aufschrift »Lebenswichtig«?
Es war ein komisches Gefühl, sich aufzuregen, ohne dass das Herz höher schlug.
Sonnenklar, dass er im Himmel sein musste, und das da vor ihm, das war dann wohl Gott.
Merkwürdigerweise sah Gott genau so aus, wie er ihn sich immer vorgestellt hatte, wie ein sehr, sehr alter Mann nämlich. Es überraschte ihn nur, dass Gott obendrein ein sehr, sehr vergnügter alter Mann zu sein schien.
»Tach, ich bin Gott«, sagte Gott ohne Umschweife. »Was denkst du wohl, was dich jetzt erwartet?«
»Äh, na ja«, sagte er verlegen, »Jüngstes Gericht und so, vermute ich.«
»In Ordnung«, erwiderte Gott. »Es ergeht also folgendes Urteil: Du kommst in den Himmel. Das geht jetzt gewissermaßen so zu den Akten.« Gott kicherte leise, als habe er einen schelmischen Witz gemacht.
Er rührte sich nicht von der Stelle, bis Gott fragte: »Is‘ noch was?«
»Ja – war das alles???«
»Klar«, sagte Gott lapidar. »Du bist halt ’n unbeschriebenes Blatt.«
»Aber«, hielt er fassungslos dagegen, »ich war doch erst siebenundvierzig und habe in meinem Leben noch keine großen Taten vollbracht. Wieso komme ich dann in den Himmel?«
Gott verdrehte etwas genervt die Augen. »Du hättest auch keine großen Taten vollbracht, wenn du fünfundachtzig geworden wärst«, sagte er dann liebenswürdig. »Aber Typen wie du erheitern mich immer ungemein.«
»Ich dich erheitern?«, wiederholte er verblüfft.
»Aber natürlich«, sagte Gott schmunzelnd. »Du hast jeden noch so dummen Psychotest in jeder noch so blöden Illustrierten gemacht, hast Selbstfindungskurse in der Volkshochschule belegt, Bücher über die neue Rolle des Mannes in einer Gesellschaft der Gleichberechtigung gelesen und dir bei Beate Uhse das Video über die Kamasutra bestellt. Mann, Mann, Mann, du hast wirklich nix ausgelassen. Das war richtig pfundig!«
»Aber, aber, aber …«, stammelte er. »Man muss doch zu sich selbst finden, sein Innerstes erforschen!«
»Du hast«, zählte Gott weiter auf, »deine Weltoffenheit mit drei Büchern von Peter Scholl-Latour dokumentiert, von denen du gerade einmal die ersten zwanzig Seiten gelesen hast. Und vor dem Literarischen Quartett bist du mit schöner Regelmäßigkeit eingepennt …« Die Erinnerung schien für Gott äußerst amüsant zu sein, und wieder kicherte er in sich hinein, diesmal jedoch schon etwas lauter.
»Ja, gut«, sagte er ungeduldig, »und was ist daran so komisch?«
»Alles, einfach alles!«, sagte Gott und schlug sich auf den Schenkel. Eine Lachträne kullerte ihm über die Wange. »»Überleg‘ doch ‚mal: Du hast allen Ernstes getestet, was für’n Duschgel zu dir passt!«
Wieder prustete Gott los. »Du bist auf je-de Werbung ‚reingefallen, die an deine Männlichkeit, deine Ursprünglichkeit und deine Instinkte appelliert hat«, erinnerte sich Gott und betonte dabei die Schlüsselwörter in bester Marlboro-Werbemanier. »Na ja, auf die Weise hatte deine Frau wenigstens nie Probleme, ein Weihnachtsgeschenk für dich zu finden. Aber besonders gern erinner‘ ich mich ja an Januar. Weißt du noch? Da warst du bei einer Podiumsdiskussion« – an dieser Stelle brach Gott in schallendes Gelächter aus – »mit Danny Cohn-Bendit! Thema: APO – fünfundzwanzig Jahre danach. – Mann, verrat‘ mir ‚mal, wann du jemals was mit der APO am Hut hattest?«
»Das habe ich gemacht, um meine Vergangenheit aufzuarbeiten«, erklärte er säuerlich.
»Aha«, japste Gott und versuchte vergeblich, sich zu beherrschen. »Vergangenheitsbewältigung also.«
»Aufarbeitung«, betonte er geschäftsmäßig, »nicht Bewältigung.«
Gott nahm die Präzisierung ergebenst zur Kenntnis und fuhr fort: »Und zuletzt wolltest du sogar einen Psychiater konsultieren, weil du befürchtet hast, bisexuelle Neigungen zu haben.«
»Ich habe das nicht befürchtet«, entgegnete er entrüstet. »Ich mein‘, wenn’s so wäre – ist doch die normalste Sache der Welt. Ich…ich wollte halt eben nur sichergehen, weil mit meiner Frau, da lief nicht mehr so viel, und dann hab‘ ich eben eines nachts auch noch von dem Typen aus der Davidoff-Werbung geträumt und …«
»Ja, ja, ich weiß«, winkte Gott ab. »Deine Selbstfindungsversuche waren jedenfalls recht – nun ja – niedlich. Lustig eben. Aber nun geh, der Himmel steht dir offen.«
»Gott, ich hätte da noch eine letzte Frage«, sagte er beherzt. »Bin ich denn nun bi? Ich mein‘ – wie bin ich denn nun wirklich?«
»Tja«, sagte Gott und zuckte mit den Schultern, »weißt du, vor allen Dingen bist du jetzt tot.«