Werbung macht Werbung für Werbung
Ich gehöre bei Licht besehen zu einer Generation, die mit Falschnachrichten aufgewachsen ist. Wenn Sie wie ich Jahrgang 1971 sind, dann kennen Sie zum Beispiel bestimmt Geschichten von Kanalalligatoren oder auch von Rattenschwänzen in den Burgern von Fastfood-Ketten.
Vielleicht also ist schiere Gewohnheit einer der Gründe, warum fake news heute so verfangen. Wir kennen sie, seit wir Kinder von vielleicht zehn Jahren waren. Warum viele heute als Erwachsene diese modernen Mythen für bare Münze nehmen, die sie als Heranwachsende nicht wirklich geglaubt haben, ist eine andere Frage. Jedenfalls kenne ich keinen, der sich früher im Anschluss an eine solche Story tatsächlich den Gang aufs Klo oder den zur Franchise-Frittenbude verkniffen hätte. Heute wäre ich mir da nicht mehr so sicher.
Zu den vielen zeitgenössischen Legenden gehört für mich auch die von der nachgerade hypnotischen (und damit unfehlbaren) Wirkung der Werbung. Auch das haben Sie ja sicher schon gehört: Ein nicht bewusst wahrnehmbares Einzelbild von einem Hamburger, Speiseeis oder Süßgetränk hineingeschnitten in die 24 Bilder, die eine Filmsekunde ausmach(t)en, und schon rennt man als Zuschauer los und isst oder trinkt, obwohl man eigentlich gar nicht weiß, warum.
Und trotzdem es vom Schnapsbrenner bis zum Burgerbrater anscheinend mannigfaltige Konzerne geben soll, die diese perfiden Methoden anwenden, ist mir bis heute kein stichhaltiger Beleg und keine seriöse Quelle dafür bekannt. Für mich gehört diese Geschichte daher ebenfalls ins Reich der Legenden – wenn sie auch in diesem speziellen Fall womöglich von der Werbebranche zwecks Eigenmystifizierung selbst am Leben erhalten wird. Dazu passt, dass die beschriebene Form der Manipulation inzwischen verboten sein soll. Denn nichts ist ja so verrucht wie das Verbotene. Nichts sagt so viel über Verführungskraft und damit Macht und Gefährlichkeit aus wie das Gerücht, dass etwas zurück in die Flasche verbannt werden musste, weil die Menschen ihm ansonsten hilflos ausgeliefert gewesen wären. Und schließlich: Wenn man diese ominösen Verführ-Frames gar nicht bewusst wahrnimmt – wer kann da schon sagen, ob sie nicht auch heute noch eingesetzt werden, trotz Verbot?
Wohlgemerkt: Ich bestreite an dieser Stelle nicht die vielbesungene »Macht der Bilder« – wohl aber die Sofortwirkung, die die Legende schon allenfalls unterbewusst wahrgenommenen Einzelbildern zuschreibt.
Dass »bunte Bilder produzieren« auch kontraproduktiv sein kann, beweist das jüngste Beispiel von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die einen Bildtermin vom Treffen mit Bundeswehrvertretern kurzfristig absagte, um sich nicht (weiter) dem Vorwurf PR-wirksamer Schaumschlägerei auszusetzen.
Überhaupt, das lehrt die Erfahrung, sollten gerade Politikerinnen und Politiker nach wie vor tunlichst darauf achten, nicht jedes boulevardesque Medium zu bedienen. Von der Leyens Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg und Rudolf Scharping machten beide den Fehler, sich buntblättrig inszenieren zu wollen. Griechenlands ehemaligem Finanzminister Yanis Varoufakis fiel eine Homestory vor die Füße, Schleswig-Holsteins gerade abgewählten Ministerpräsidenten Torsten Albig soll ein Interview mit einem Klatschmagazin gar die Wiederwahl gekostet haben. Auch Frauke Petry und Marcus Pretzell machten die Erfahrung, dass es (zumindest parteiintern) nicht gut ankommt, sich in einem Peoplemagazin darstellen zu wollen.
Das Bestreben, es menscheln zu lassen, birgt also für Politikerinnen und Politiker mindestens Fallstricke, um nicht zu sagen: Es ist Gift. Warum es dennoch immer wieder PR-Berater, Pressereferenten und Parteistrategen gibt, die den Giftschrank nicht abschließen, bleibt indes die große Frage.
Obige Beispiele zeigen – wie auch der Blick auf andere »PR-Desaster« und »Kommunikationspannen« –, dass auch in Werbung und PR nur mit Wasser gekocht wird. Die Werbung, die im Gedächtnis bleibt oder an die man sich zumindest erinnert, wenn dem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen wird, macht nur einen Bruchteil aus. Aber wer macht sich schon den Spaß, mal die Spots in Radio und Fernsehen zu zählen, die nach zweimaligem Senden stillschweigend zurückgezogen werden? Wer zählt die Plakate, die nach zwei Wochen wieder abgenommen werden? Und ganz gewiss gibt es keine Zahlen dazu, wie viele Ideen und Konzepte gar nicht erst abgesegnet, finanziert und umgesetzt werden.
Werbung ist auch nicht die Speerspitze der Innovation, wie die Branche gern selbstherrlich suggeriert. Radiowerbung für Autos etwa ist nach wie vor absolut hausbacken und auch Waschmittelwerbung im Fernsehen hat sich seit Clementines Zeiten im Kern kaum verändert: Im Grunde genommen macht immer noch eine adrette junge Frau perfekt gekleidet und perfekt geschminkt Wäsche, die nicht gewaschen werden muss, in einem Bad, das nicht geputzt werden muss.
Werbung ist oft sogar sehr beliebig. So führten mich Recherchen zum Thema »Vampire in der Werbung« einst zu der Erkenntnis, dass sowohl ein japanischer Automobilkonzern die untoten Blutsauger als Werbefiguren nutze als auch ein spanischer. Im Falle des spanischen Autobauers fand sich die Erläuterung des Konzepts hinter dem fraglichen Fernsehspot frei im Netz – und offenbarte, dass alles nur eine Frage eloquenter Begründung ist. Nichts daran war Hexenwerk oder vampirische Hypnose. Alles lässt sich mit allem verknüpfen, was gerade in ist, auch Vampire mit Autos oder Hipster-Bartträger mit Margarine.
Und natürlich gibt es auch schlechte Werbung und Werbeentscheidungen. Längst ist mittels Hirnscans wissenschaftlich nachgewiesen, dass auch der Werbebranchen-Stehsatz: »Es gibt keine schlechte PR!« eine Mär ist. Schlechte Werbung bleibt als schlecht im Gedächtnis und wird mit Gefühlen wie Abneigung und Widerwillen verknüpft.
In meinem Fall bedeutet das beispielsweise konkret: Das Vergleichsportal, das mit einem prolligen Komödianten mit Hang zu Populismus und verschwörungstheoretischem Geschwurbel Werbung macht, wird von mir ebenso wenig frequentiert werden wie der Geflügelmäster, der mit dem anderen prolligen Komödianten mit Hang zu frauenfeindlichen Geschmacklosigkeiten Werbung macht. Das Reiseportal, das als Sponsor eines verdummenden Prominentenzeltlagers in Australien auftritt, gewinnt mich nicht als Kunden. Die Versicherung, die mit einem misanthopen Castingshow-Juror und Möchtegern-Musiker als Testimonial aufwartet, macht mit mir keinen Abschluss, und die Unternehmen, die ihr Geld dafür geben, dass eine sexistisch-voyeuristisch-sadistische Modelsuche in die nächste Runde gehen kann, sind bei mir unten durch. Ich habe sie mit Abneigung und Widerwillen verknüpft.
Angesichts all dessen greift die Klage, wonach Werbeblocker am Niedergang etwa des Journalismus Schuld sein sollen, für mich schlicht zu kurz. Denn sieht man sich einmal die Werbung an, die ohne entsprechenden Filter sichtbar ist, so kann einen schon mal das kalte Grausen packen. Bestenfalls werden Anzeigen für Versicherungen, Reifenhersteller, Versandhandel, Onlinespiele oder Datingportale eingeblendet, schlechtestenfalls aber auch die für Wettanbieter, Potenzmittel oder unseriöse angebliche Verdienstmöglichkeiten.
Beim Messenger-Dienst Skype beispielsweise, wo sich Werbung nur mit vergleichsweise großem Aufwand abschalten lässt, wird in den Werbeeinblendungen der Chatfenster auch schon mal der Untergang des Abendlands heraufbeschworen. Angebliche Experten warnen dort vor unmittelbar bevorstehenden Börsencrashs oder dem Ende des Euro. Woanders locken vermeintliche Aktientipps für Wundermittel gegen schwerste Krankheiten.
Wohin mich diese Werbebanner führen würden – ob »nur« auf eine Nepper-Seite oder geradewegs in die Komplettverschlüsselung meiner Festplatte –, ich weiß es nicht. Was ich allerdings sehr wohl weiß, ist, dass sich diese sogenannte Werbung in nichts von den Spam-Nachrichten unterscheidet, die ich täglich zu Dutzenden herausfiltere. Auch in diesen wird mir vom Werkzeugkoffer über den Gartenschlauch und die LED-Leuchte bis hin zu Mitteln gegen graue Haare alles angeboten. Und natürlich darf auch hier der todsichere, streng geheime Aktientipp nicht fehlen.
Die Cyberattacke vom Freitag hat deutlich gemacht, wozu ein unbedarfter (oder meinetwegen auch gieriger) Klick auf einen Link führen kann. Schadsoftware in Werbebannern wiederum verbreitet sich möglicherweise sogar ganz ohne aktives Anklicken.
Werbung auf Internetseiten ist also häufig nichts anderes als Spam und oft auch auf die eine oder andere Weise gefährlich. Bevor also Werbefilter per se verteufelt werden, gilt es für meine Begriffe zunächst eine ganze Reihe von Fragen zu beantworten.
So sollten Zeitungsverlage, Jobvermittlungsportale, Messengerdienste und andere Unternehmen meiner Meinung nach zunächst mal für sich klären, ob es ihnen wirklich egal ist, wer auf ihren Internetseiten wirbt. Werbung schaltende seriöse Unternehmen ihrerseits sollten sich fragen, ob sie ihre Anzeigen tatsächlich in einem endlosen Strom von Bannern sehen wollen, unter denen sich auch eine signifikante Anzahl schwarzer Schafe befindet. Und seriöse Werbetreibende wiederum sollten darauf pochen, nicht in einen Topf zu kommen mit fake news.
Dann, wenn sich die Spreu vom Weizen getrennt hat und neben den eigentlichen Inhalten auf einer Website nicht mehr das Werbe-Gegenstück zu Geschichten um Rattenschwänze in Hamburgern und Krokodilen im Abwasserkanal steht, können wir auch über das Abschalten von Werbeblockern reden.