Problem Publikum

Wann und ob ein Witz witzig ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Unstrittig hingegen ist, wann er es nicht ist: Wenn er alt ist. Wenn ein Witz so oft von so vielen wiederholt wurde, dass er quasi nur noch Losungswort für Gleichgesinnte ist, die darüber auch beim 10.945 Mal noch lachen wollen, dann nervt er. Insofern ist also nicht Luke Mockridge das Problem, wenn er Menschen mit Behinderung verspottet – sondern sein Publikum.

Wenn Bill Mockridge nicht über Jahre und Jahrzehnte in der Lindenstraße mitgespielt hätte, dann hätte es sein Sohn Luke nie auch nur über meine Wahrnehmungsschwelle geschafft. Ohne seinen Vater wäre Luke Mockridge für mich irgendein DNS-Strang in der deutschen Promi-Comedy-Ursuppe – irgend so ein kakerlakenfressender, sich für nichts zu schade seiender Selbstvermarkter mit dem Berufsziel, vielleicht mal so ein Desinformant für die Gröhl-und-Johl-Fraktion zu werden wie Mario Barth. »Seine Nische finden« und 20, 30 oder gar 50 Jahre lang die immer selben Schenkelklopfer bringen zu können, scheint ja der Heilige Gral der Witzemacher zu sein. Auch wenn die Nische ob ihrer Größe und des Gedränges darin eigentlich gar keine Nische ist, von »eigen« ganz zu schweigen.

Weil aber »Mockridge, Mockridge … da war doch mal was?« für mich einen ungewollten Wiedererkennungswert hat, triggert jede Erwähnung von Luke Irgendwer bei mir diese Form von diffuser Aufmerksamkeit, gegen die ich machtlos bin. So bekam ich am Rande von den Vorwürfen gegen ihn wegen sexueller Übergriffe mit, und so veranlasst mich der Doppeltrigger »Mockridge« + »Verhöhnung von Menschen mit Behinderungen« nun eben zu diesem Blog.

Als ich Mockridges Sprüche über Sportler:innen mit Behinderung gelesen habe, war das meine erste Auseinandersetzung mit ihm in seinem Brotberuf. Und wissen Sie was? Ich fand’s sogar witzig. So was ist normalerweise nämlich buchstäblich »genau mein Humor«. Merke also: Auch Menschen mit Behinderung sind nicht alle einer Meinung.

Und Luke Mockridge führt zu seiner Verteidigung ja auch an, er habe Menschen mit Behinderung oft als sehr schwarzhumorig erlebt. Grundsätzlich glaube ich ihm das also. Gleichwohl kann sein Statement angesichts der erwartbaren Empörung natürlich reines Kalkül sein. Erst mal was Kontroverses raushauen und dann mausgerutscht sein wollen, das ist ja inzwischen aufmersamkeitsökonomische Standardvorgehensweise.

So oder so: Die Sache hat einen Haken. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wenn man sich selbst auf die Schippe nimmt und Witze über die eigene Behinderung macht, begreifen viele Menschen das als Freibrief. Man will ihnen vielleicht den Wind aus den Segeln nehmen, verleiht ihnen stattdessen aber Rückenwind. Und dann hauen sie alle in die gleiche Kerbe. Bis das Blut spritzt.

Ein prominenteres Beispiel verdeutlicht das noch besser: Jan Böhmermanns Erdogan-Schmähgedicht. Eigentlich war dieses Gedicht nämlich die Dreifaltigkeit der Blödheit. Das Gedicht an sich war blöd. Deswegen auf Majestätsbeleidigung zu klagen, war blöd. Und der damaligen Bundesregierung einen »Skandal« vorzuwerfen, weil sie sich aus der Sache raus und an die Gewaltenteilung hielt, war auch blöd.

Das Einzige, was Böhmermann zum Vorteil gereichte, war die Art der Präsentation. Die Kommentierung und »juristische Einordnung« durch Böhmermann machte sein Schmähgedicht zu einem kleinen subversiven Geniestreich.

Aber Geniestreiche sind selten und lassen sich nicht beliebig wiederholen. Was also folgte und wovon man unterstellen muss, dass es Böhmermann nicht vorausgesehen und einkalkuliert hatte, waren tausende platter, blöder, talentfreier »Satiregedichte« von Nachahmern, eben ohne jeden Kunstgriff. Es waren Gedichte, die einfach nur darauf abzielten, Menschen zu verletzen, die im weitesten Sinne »irgendwas mit der Türkei zu tun« haben. Und es braucht eigentlich nicht viel Einfühlungsvermögen, um sich klar zu machen, für die ist dieser »Witz« dann nach kürzester Zeit eben nicht mehr lustig.

Insofern ist das Problem heutzutage also gar nicht mal der geneigte Humorist oder die Humoristin. Das Problem ist ihr Publikum. Entsprechend müsste sich der Blick bei Luke Mockridges »Entgleisungen« auch nicht auf die so einhellig verurteilenden Beiträge und Artikel richten, sondern, wenn überhaupt, auf die Kommentarspalten darunter. Denn dort tummeln sich die Leute, bei denen seine Sprüche verfangen, die sie weitertragen und den Bogen überspannen.

Das Traurige ist, dass wir längst nur noch die Wahl haben zwischen Pest oder Cholera. Bernhard Hiergeist verweist in seinem Gespräch mit Übermedien.de meiner Meinung nach völlig zurecht darauf, dass es keinen Unterschied mehr macht, ob man Mockridge ignoriert oder kritisiert. Straft man ihn mit Missachtung, macht er so weiter. Regt man sich über ihn auf, bringt ihm das Aufmerksamkeit, die vermutlich sehr viel mehr wert ist, als eine abgesetzte Show im linearen Fernsehen bei einem Alte-Leute-Sender, der vor 30 Jahren mal kurzzeitig Innovationskraft entfaltet hat.

Und wenn wir uns mal ehrlich machen, ist Luke Mockridge ja auch im Beleidigen von Menschen mit Behinderungen nur ein ganz kleines Licht. Er ist nicht der, der Dinge erst sagbar macht. Die Größe hat er nicht. Diese zweifelhafte Ehre gebührt aus meiner Sicht dem Privatfernsehen, das mit seiner »authentischen Darstellung sozial schwacher Menschen« schon vor Jahrzehnten dafür gesorgt hat, dass »Du Spast!«, »Du Missgeburt!« und »Das ist voll behindert!« akzeptabler Sprachgebrauch wurde.

Damals ist das Kind in den Brunnen gefallen. Heute ist es verwest und skelettiert.

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