Mir ist es zu laut im Internet

Ein kleiner Aphorismus.

Als im Zuge von Elon Musks Übernahmeplänen für Twitter der Kurznachrichtendienst Mastodon medial als »Alternative« bekannt (gemacht) wurde, horchte ich auf. Immerhin wurde meinen Sprüchen schon mal »beinahe aphoristische Qualität« bescheinigt (wobei wir alle wissen: Knapp daneben ist auch vorbei). Zudem wollte mir ein alter Schulfreund immer wieder mal Twitter schmackhaft machen. Sein Argument: Interessante Beiträge und Informationen.

Nun fühle ich mich erstens beileibe nicht uninformiert und hatte zweitens viel Schlechtes über Twitter als Datensammelkrake, Fake-News-Multiplikator und dauerempörtes, demokratiefeindliches asoziales Hetzwerk gehört. Meine Erfahrungen mit Facebook deckten sich damit. Aber Mastodon als dezentraler Dienst ohne Algorithmus, ohne Werbung und ohne egomanen Besitzer? Vielleicht war das ja dieses sagenumwobene Internet, von dem immer alle reden, in dem sich Leute vernetzen und helfen und bestärken und ermutigen. Dieses Internet, das die Welt besser macht, weil es Potentiale hebt und das Gute in den Menschen hervorbringt und nicht das Schlechte.

»Nach drei Monaten auf Mastodon vermisse ich nichts. Was allerdings an mir nagt, ist die Frage: Was stimmt nicht mit mir?

Spoiler: War es nicht. Nach drei Monaten habe ich auch Mastodon wieder den Rücken gekehrt. Und wie zuvor schon bei Facebook vermisse ich nichts. Was allerdings an mir nagt, ist die Frage: Was stimmt nicht mit mir?

Mir stellt sich »das Internet« als solches nämlich so ganz anders dar als für Milliarden anderer Menschen. Ich habe sechs Jahre auf Facebook zugebracht und weiß im Grunde genommen bis heute nicht, wieso. Was andere toll finden, war für mich, als würde ich jeden Tag morgens, mittags und abends eine 250-Gramm-Tafel Nougatschokolade fressen. Ich fühlte mich aufgedunsen von all den Meinungen, Meldungen und Informationen. Aber es hatte keinen Nährwert.

Ich habe lange versucht, die bekannten und offensichtlichen Schattenseiten von Facebook zu ignorieren, wie viele das tun. Aber so oder so war Facebook nie Freude, nie Inspiration, nie Motivation. Facebook war immer nur wie Rauchen auf dem Schulklo, weil alle es tun, die cool sein wollen – inklusive der hingekritzelten Sprüche an den Kabinenwänden in all ihrer Niveaulosigkeit. Ich habe ständig darauf gewartet, dass sich bei mir mal irgendein positives Gefühl einstellt, wenn ich Likes für einen Kommentar oder Beitrag bekommen habe. Es passierte nicht. Der Suchtfaktor, den WTF (WhatsApp, Twitter, Facebook) nachweislich haben, er griff bei mir glücklicherweise nicht. Dabei bin ich eigentlich durchaus ein Publikumsmensch. Beifall ist mir schnell suspekt, aber in Maßen und wenn er meinen strengen Maßstäben an Objektivität standhält tut er mir gut und spornt mich an.

»Facebook war für mich, als würde ich jeden Tag morgens, mittags und abends eine 250-Gramm-Tafel Nougatschokolade fressen. Ich fühlte mich aufgedunsen von all den Meinungen, Meldungen und Informationen.

War es also mangelnder Beachtung, die mich von Facebook vertrieben hat – und danach sukzessive auch von XING, von LinkedIn und zuletzt eben von Mastodon? Wäre alles anders, wenn ich dort Beifall gefunden hätte?

Die Antwort ist ein hundertprozentiges Jein.

Als ich etwa von XING gefragt wurde, warum ich mein Konto lösche, schrieb ich (mit fragwürdiger aphoristischer Qualität): »Weil XING nix bring.« Sprich, XING und auch LinkedIn haben für mich nie ihre Kernaufgabe erfüllt, Aufträge zu vermitteln. Hätten ich von XING und LinkedIn als Jobbörse profitiert und aus ihnen einen messbaren, ja einen monetären Nutzen gezogen, dann wäre ich vielleicht noch dort. Aber beide Portale haben mir in erster Linie Stellen angeboten, die rein gar nichts mit meinem Beruf und meiner Qualifikation zu tun hatten.

Nimmt man dann hinzu, dass XING, wie LinkedIn, wie Facebook und all die anderen eben primär auf »Engagement« aus ist, auf langen Aufenthalt auf seinen Seiten und damit auf Daten, an die es mittels mehr oder minder »kontroverser« Themen zu gelangen versucht, zu denen man sich äußern soll, dann reifte bei mir der Eindruck, dass ich nichts bekam (außer vielleicht Bluthochdruck), sondern nur gab. Also bin ich gegangen.

Und noch’n Aphorismus.

Nun kann man natürlich immer sagen, das lag an mir und daran, dass ich nicht nach den Regeln gespielt habe. Der Lebenslauf zu schmucklos, kein fesches Foto von mir, kaum Beteiligung an irgendwelchen Gruppen, keine Verlautbarungen über vermeintliche oder tatsächliche berufliche Großtaten oder Erfolge. Aber so bin ich eben. Aus guten Gründen sparsam mit meinen Daten und zurückhaltend. Ich kann nicht aus meiner Haut.

Ich weiß bis heute nicht, ist das Leben im Internet nun das Leben im Brennglas oder das Leben im Zerrspiegel, ist es Welt oder Parallelwelt. Ist das, was ich dort an Hass und Hetze erlebe, das Werk von vergleichsweise wenigen Trollen mit missionarischem Eifer und einer Agenda, oder ist es schlicht ein digitales Abbild der Welt, wie sie ist?

Entsprechend bin ich permanent im Zwiespalt, ob ich soziale Netzwerke nutzen und damit unterstützen sollte oder nicht. Ein Rückzug bedeutet schließlich immer auch, den Trollen das Feld zu überlassen. Bin ich also nicht nachgerade verpflichtet, »Präsenz im Internet zu zeigen«?

Ich weiß es nicht.

Für das Lächeln auf den Lippen.

Was ich weiß, ist, dass die Schaffung von Blasen für mich nicht in Frage kommt. Ich habe es als sehr defizitär empfunden, in einer solchen Blase, an einem isolierten Universitätsbereich mit nur einer Fachrichtung, zu studieren. Das widersprach stets meinen Vorstellungen, was eine Hochschule idealerweise sein sollte. Folglich finde ich es auch unsinnig, mir im Internet durch Blocken, Sperren und Ausblenden eine für mich heile Welt zu schaffen, in der ich nicht auch und gerade mit konträren Meinungen konfrontiert bin.

Gleichzeitig ist es für mich halbgar, ein soziales Netzwerk zu nutzen, obwohl ich um die entsprechenden Missstände dort weiß. »Innerhalb meiner spezifischen Gruppe ist alles in Ordnung« ist kein Argument, da ich – siehe oben – mit meinem Engagement das soziale Netzwerk als solches stütze. Deshalb komme ich in der Abwägung zu dem Schluss, mich von social media fernzuhalten.

Was mich wiederum zurück zu Mastodon bringt. Die Erfahrung dort war nicht schrecklich, aber eben auch nicht irgendwie überragend. Ohne Mastodon wüsste ich zum Beispiel nicht von F-Droid als Alternative zu den App-Stores von Apple und Google und nichts von Piped als Schutzschild vor der Datensammelwut von Youtube. Außerdem bin ich in den Genuss einer Leseprobe eines noch unveröffentlichten Fantasy-Autors gekommen. Von Mastodon habe ich auch die Idee mitgenommen, Salman Rushdies Satanische Verse im öffentlichen Raum zu lesen.

Ansonsten habe ich hin und wieder den sonntäglichen Tatort kommentiert oder die jeweils aktuelle Folge des Haschimitenfürsts. Ich habe unter dem Hashtag #LisbethBügelbrett die obligatorischen Katzenbilder gepostet. Ich habe den humoristischen Kurztext »Kommunikation Katze – Mensch« veröffentlicht und immer wieder auch meine Sprüche, auf dass sie die Menschen erheitern mochten.

#LisbethBügelbrett

Denn das, schätze ich, ist wohl meine Natur. Ich möchte helfen, mich nützlich machen, Leuten ein Lächeln auf die Lippen zaubern und gern daran glauben, dass das irgendwann zu mir zurückkommt. Schon in meiner Zeit auf Facebook habe ich kostenlos kleine Promotexte für andere Soloselbständige geschrieben, die dort aktiv waren. Das war es, wofür ich dachte, dass »soziale Netzwerke« da sind. Die Ironie ist: Auf diese Weise die Werbetrommel rühren kann ich offenbar nur für andere, aber nicht für mich selbst. 

In der lauten Welt des Internets ist dies jedoch ein Defizit, das sich nicht ausgleichen lässt. Ein User von Mastodon brachte es treffend auf den Punkt, als er meinte, (auch) dort seien letztlich in allererster Linie Sender und kaum Empfänger. Austausch, wie ich ihn gesucht habe, fand leider nicht statt. Daher habe ich das Experiment Mastodon für mich rasch wieder beendet.

»Fazit: Das eine große Netzwerk für alle kann es nicht geben und ein Netzwerk ohne strengste Regeln erst recht nicht.

Wenn ich ein Fazit ziehen sollte, würde es lauten: Das eine große Netzwerk für alle kann es nicht geben und ein Netzwerk ohne strengste Regeln erst recht nicht. Mastodon war, zumindest innerhalb meiner Instanz, nicht rechtsextrem oder in anderer Weise widerwärtig, könnte aber dennoch leicht in die Toxizität kippen. Denn natürlich sind es nicht die in irgendeiner Form besseres Menschen, die das Netzwerk aktuell (noch) schützen. Die große Masse scheint auch dort nur passiv zu konsumieren. Der Rest sendet, moralisiert und klopft sich selbst auf die Schulter.

Mastodon ist schlicht nicht groß und relevant genug. Sollten in absehbarer Zeit aber beispielsweise zahlungsunwillige Twitter-Nutzer:innen dorthin abwandern bzw. die entsprechenden Akteur:innen sich ein Zweitkonto anlegen, um die Gesellschaft zu spalten, dann ist auch dieses Netzwerk nicht ausreichend resilient.

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