Filmsynchronisation: Fließbandarbeit nach Stoppuhr

Wann waren Sie zuletzt so richtig irritiert?

Ich trage mich schon lange mit dem Gedanken, einen Artikel zum Thema Synchronisation von Filmen und Fernsehserien zu schreiben. Dass ich es nun tue, hat ausdrücklich mit einem Beitrag von Markus Engelhardt in der Frankfurter Allgemeinen zu tun. Denn dieser mag als Plädoyer für die Arbeit von Engelhardt und Kollegen (um nicht zu sagen als Eigenwerbung) durchgehen und aus dieser Sicht verständlich sein, lässt aber so viel unerwähnt und ist so einseitig, dass es mich schlicht und ergreifend fürchterlich ärgert.

So stellt Engelhardt zu Beginn seines Artikels die Behauptung auf, dass sich »ausländische Besucher immer wieder bewundernd über die Fremdsprachenkenntnisse junger Deutscher« äußerten, nur um sich später darüber zu mokieren, dass sich Kritiker der Filmsynchronisation »meist in schlechtem Deutsch über die Alternativlosigkeit von Originalfassungen« dozierten.

Allein das wirft schon Fragen auf. Zum einen die, welchen Wert etwaige bewundernde Feststellungen von Laien haben, die im Zweifelsfall einfach nur höflich sind. Zum zweiten die, warum die Meinung dieser ausländischen Besucher höher einzustufen sein sollte als die derer, die an OmU-Fassungen einen Lerneffekt für Fremdsprachen festmachen wollen. Und zum dritten die, ob sich die Deutschen denn nun in irgendeiner wundersamen Weise aufteilen – etwa in junge Sprachbegabte und in ältere Synchronkritiker, die nicht einmal ihre Muttersprache beherrschen.

Engelhardt jedenfalls kommt zu dem Schluss, dass OmU-Fassungen »keinerlei Auswirkung auf den Fremdsprachenerwerb« hätten, denn: »Kino ist Kunst. Und kein Sprachunterricht.« Dieser Plattitüde ist – eben weil Plattitüde – natürlich nicht zu widersprechen. Selbstredend macht sich zu einfach, wer behauptet, allein durch Film- und Fernsehkonsum ließe sich eine Sprache erlernen. Wenn dem so wäre, wunderbar, der Staat könnte sich alle Deutschkurse etwa für Zuwanderer sparen und nie wäre es zur Entstehung von Parallelgesellschaften gekommen.

Effektiver in Sachen Fremdsprachenerwerb, so Engelhardt, seien »andere Faktoren«, als da wären: Schüleraustauschprogramme, Work-and-Travel, Kommunikation über soziale Netzwerke sowie Auslandsaufenthalte während des Studiums. Und so richtig das grundsätzlich auch sein mag, so wenig dient es Engelhardts zuvor aufgestellter These. Denn natürlich ist auch Arbeiten und Reisen kein reiner Sprachunterricht. Auch ein Studium im Ausland (während dem man dann vermutlich viele Filme in der Originalfassung sehen kann) besteht nicht nur aus Sprachunterricht – wenn überhaupt.

Und Kommunikation über soziale Netzwerke ist ganz sicher nicht dazu angetan, den Spracherwerb ordentlich zu fördern. Engelhardt hat ja anhand der »einschlägigen Internetforen« von dozierenden Synchronkritikern eigentlich ganz richtig erkannt, wie niedrig die Sprachkompetenz ist, die sich im Internet offenbart. Tatsache ist: Der durchschnittliche deutsche Facebook-Beitrag strotzt nur so vor Fehlern – und es ist kaum anzunehmen, dass es in anderen Sprachen signifikant besser aussieht. Die Wahrscheinlichkeit, über die Kommunikation in sozialen Medien eine Sprache massiv fehlerhaft zu erlernen, ist vor allem dann besonders hoch, wenn sich Nicht-Muttersprachler mit Nicht-Muttersprachlern unterhalten.

Das unterschlägt Engelhardts Artikel ebenso wie vieles andere – so viel, dass es den Rahmen eines einzelnen Blog-Beitrags sprengt. Die Redaktion der Frankfurter Allgemeinen jedenfalls war allem Anschein nach sowohl in puncto Übersetzen allgemein als auch in Bezug auf Synchronisation im Speziellen zu unbeleckt, als dass sie ob der offensichtlichen Unstimmigkeiten nachgehakt hätte. Engelhardt kann so praktisch einen reinen Meinungsbeitrag platzieren.

Dazu gehört, dass Engelhardt anführt, sich durch Untertitel vom Film abgelenkt zu fühlen. Nun stellt sich zwar die Frage, ob und welche künstlerisch wertvolle Bildkomposition den Zuschauern etwa bei einem Film von Michael Bay entgehen könnte. Vor allem aber müsste Engelhardt, wenn er denn wirklich so genau hinsieht, eigentlich auch auffallen, wie häufig die Synchronisation nicht zur Mimik der Schauspieler passt. Bestes Beispiel ist die oft als besonders gelungen angeführte deutsche Fassung der Serie Die Zwei mit Tony Curtis und Roger Moore.

Die Synchronisation dieser ansonsten wenig originellen britischen Krimiserie ist bekanntermaßen kultig und ein absolutes Paradebeispiel dafür, dass eine deutsche Sprachfassung sogar einen Zugewinn darstellen kann, keine Frage. Doch völlig losgelöst davon, dass diese Form der teils ja sogar improvisierten Dialoge heute allein deshalb nicht mehr möglich wäre, weil die Sprecherinnen und Sprecher gar nicht mehr gemeinsam vor dem Mikrofon stehen (was bei Engelhardt ebenfalls keine Erwähnung findet): Wenn man mal wirklich hinsieht und nicht nur hinhört, merkt man rasch, Stimmen und Kalauer passen in der Regel gar nicht zur Mimik der Schauspieler. »Synchron« in des Wortes eigentlichem Sinne ist da wenig bis gar nichts. Sieht man sich die Serie also wirklich an, löst sich die Tonspur recht rasch von den Bildern – und das, diese Form »bebilderter Hörbücher«, empfinde ich als wirklich störend.

Darüber hinaus stellt es Engelhardt so dar, als handele es sich bei den in der Synchronisation en masse vorkommenden Fehlern einzig und allein um Fragen eines nicht zu bewältigenden Kulturtransfers. Das ist so aber schlicht und ergreifend falsch – und Engelhardt sollte das wissen.

Wenn Bart Simpson begeistert ausruft: »Wow, wrong side of the tracks!«, dann ist das (wiewohl ich selbst ursprünglich aus einem Städtchen komme, in dem die Bahntrasse am Rhein eine Straße mit eher einkommensschwachen Bewohnern von einer mit eher gut betuchten trennt) sicherlich ein amerikanisches Kulturspezifikum. »Zwei Teenager in Liebe« (Homer Simpson über Bonnie und Clyde) jedoch ist einfach nur eine übersetzerische Peinlichkeit.

Davon finden sich auch und gerade bei den Simpsons so viele, dass sich inzwischen das Gerücht hält, die Fehler würden absichtlich eingebaut, um den berüchtigten Usern der schon erwähnten »einschlägigen Internetforen« Futter zu geben. So ruft Lisa Simpson in einer Folge verzückt: »Eine Musicbox!« – und im Bild zu sehen ist eine Spieluhr.

Markus Engelhardt nimmt in seinem Artikel zwar Bezug auf Comedyserien wie The Big Bang Theory, aber irgendwie habe ich meine Zweifel, dass er selbst tatsächlich schon einmal Folgen dieser oder anderer Serien gesehen hat oder mit ihrer Synchronisation befasst war. Nimmt man nämlich einmal eine Serie wie Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert als Beispiel, so findet sich in so gut wie jeder Folge ein richtig fetter Bolzen in der deutschen Synchronisation. Da wird »a sensible women« zu einer »sensiblen Frau«, der verärgerte Klingone Worf ist regelmäßig »irritiert« und »that mist out there« wird zu »diesem Mist da draußen«.

Den wohl größten Bock geschossen aber hat Arena Synchron ursprünglich in der Folge, in der die Crew der Enterprise ein verletztes Mitglied aus dem verfeindeten Borg-Kollektiv findet und gesund pflegt. Getrennt vom Kollektiv (im übrigen eine durchaus gelungene Übersetzung des englischen Begriffs hive) der anderen kybernetisch veränderten Organismen entwickelt der Borg wieder Individualität, weswegen er vom Chefingenieur Geordi La Forge schließlich einen Namen bekommt. Nach einiger Überlegung einigt er sich mit dem Borg darauf, ihn »Du« zu nennen. Der deutsche Titel der Folge lautete indes von Anfang an »Ich bin Hugh«. Die Folge musste später noch einmal nachsynchronisiert werden, um den Fehler zu korrigieren.

»Gut, wenn man dafür talentierte Leute mit Ideen hat, die sich die Zeit nehmen und auch mal ein Risiko eingehen«, schreibt Engelhardt. Dem kann ich mich als Übersetzer natürlich nur anschließen – und wenn Engelhardt in seinen »zwanzig Jahren als Übersetzer und Dialogbuchautor in der Film-Synchronisation« (Frankfurter Allgemeine) nur mit ausreichend Zeit und Freiheit arbeiten konnte, dann kann ich ihm nur neidlos gratulieren.

Aber die oben angeführten Fehler sind genau das – Fehler. Sie sind nicht Ansichtssache und nicht Ausdruck von Talent, Kreativität oder Risikofreude. Oft sind es falsche Freunde, die normalerweise spätestens im dritten Jahr Englischunterricht in der Schule auf dem Lehrplan stehen. Es sind Fehler, die gemacht werden aus schlichter Inkompetenz, Zeitdruck und Schlampigkeit. Es sind Fehler, die gemacht werden, weil die Bezahlung der Übersetzungen im Synchronbereich einfach mies ist und sich entsprechend keine Profis dafür finden. Sie gehen (wenigstens in der Regel) nur deshalb durch, weil Film und Fernsehen Fließmedien sind. Wo man beim Lesen eines Buchs vielleicht über einen Fehler stolpernd verharren würde, läuft ein Film eben weiter, die nächste Szene verlangt nach Aufmerksamkeit, der Fehler wird vergessen.

Natürlich sind auch Untertitel nicht fehlerfrei und natürlich lässt sich allein aufgrund der notwendigen Beschränkung auf einige wenige Zeilen darin im Zweifelsfall auch nicht mehr transportieren als in einer Synchronisation. Aber die eigenen, offenbar ungewöhnlich guten Arbeitsbedingungen in der Filmsynchronisation als die Regel darzustellen, vermittelt ein falsches Bild. In den weitaus meisten Fällen ist Synchronisation leider keine Kunst, wie Engelhardt schreibt, sondern Fließbandarbeit nach Stoppuhr, noch dazu verrichtet von Ungelernten und eben nicht von Spezialisten. Doch mit einem Bericht darüber landet man vermutlich nicht in der Frankfurter Allgemeinen.

Mehr dazu in Teil 2.

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