Filmsynchronisation 2: Lieber billig als gut

Der Preis für genetische Schminke

So lange ich mich mit Übersetzen befasse, befasse ich mich auch mit Synchronisation – vielleicht sogar noch länger. Das hat schlicht damit zu tun, dass ich ein sogenanntes »Kassettenkind« bin, das mit Hörspielen aufgewachsen ist. Aber ich bin nicht nur ein Kassettenkind, ich bin auch ein Zeichentrick-Kind. Lange, bevor mir Oliver Rohrbeck als Justus Jonas in den Drei Fragezeichen wiederbegegnete, kannte ich seine Stimme schon als die des kleinen Drache Grisu. Lange bevor mich Gottfried Kramer in immer neuen Hörspielrollen bei den »drei ???« (oder später als Stimme des Autos K.I.T.T. in der Serie Knight Rider) faszinierte, kannte ich ihn schon als Sprecher gleich aller drei Rollen in der Zeichentrickserie Piggeldy und Frederick. Doch so sehr ich manche Stimmen liebe und so sehr ich die Arbeit vieler Sprecherinnen und Sprecher schätze – ein Verfechter der Synchronisation bin ich schon längst nicht mehr.

Das liegt an vielen Faktoren: den schon in Teil 1 angesprochenen Fehlern, den immer gleichen Stimmen, der oft lieblosen Vergeräuschung und den nachlassenden Produktionsstandards.

Auf die Fehler bin ich schon in Teil 1 eingegangen. Um aus diesem Artikel keine ermüdende Aufzählung werden zu lassen (die mir im Zweifelsfall nur als Pedanterie ausgelegt würde), möchte ich an dieser Stelle nur noch ein weiteres Beispiel anführen – gewissermaßen meinen persönlichen Lieblingsschnitzer aus dem Bereich der Synchronisation.

In der Folge »Leonard Betts« aus der Serie Akte X (Staffel 1, Episode 12) geht es um einen Sanitäter, der bei einem Autounfall enthauptet wird. Seine Leiche verschwindet jedoch später aus der Pathologie – wie sich herausstellt kopflos, aber trotzdem auf eigenen Beinen. Des Rätsels Lösung ist schließlich, dass der vermeintlich tote Sanitäter Leonard Betts an Krebs erkrankt war, ihm dies jedoch unbegrenzte Regenerationsfähigkeit verliehen hat.

Dem Strickmuster der Serie folgend, ist es Agent Mulder, der die entsprechend abenteuerliche Theorie entwickelt, während seine streng wissenschaftlich denkende Kollegin Dana Scully zunächst wie üblich skeptisch ist. Um sie zu überzeugen, sagt Mulder in der deutschen Fassung: »Was ist, wenn Krebs gar keine Krankheit ist sondern Teil unserer genetischen Schminke?«

Eigentlich sollte an dieser Stelle jeder stutzen, der des Deutschen auch nur einigermaßen mächtig ist. Wer Englisch auch nur leidlich beherrscht und ein wenig um die Ecke denken kann, kommt sicher auch darauf, was Mulder im Original sagt. Er spricht von »genetic makeup«, also dem genetischen Bauplan, dem genetischen Aufbau.

Ich hatte nie Gelegenheit, Benjamin Völz zu fragen, wie ihm solcher Unsinn über die Lippen kommen kann. Meiner Meinung nach müssten solche Fehler an irgendeinem Punkt der Produktion auffallen – wenn schon nicht dem Übersetzer oder der Übersetzerin, so doch zumindest der Dialogregie oder eben den Sprechern.

Inzwischen weiß ich, dass beim Synchronisieren zum Nachdenken oft schlicht keine Zeit bleibt. Die ohnehin stressigen Aufnahmen mit ihren zahlreichen Wiederholungen sind eng getaktet und werden unter großen Zeitdruck heruntergespult. Die Sprecherinen und Sprecher würden dabei »einfach das ablesen, was da steht«, weil es das sei, »wofür sie bezahlt werden«, hat mir ein Hörspielregisseur mittlerweile erklärt. Das ist so ernüchternd wie einleuchtend: Wenn einer übersetzt, »was da steht«, und einer abliest, »was da steht«, dann ist das Ergebnis eben genetische Schminke.

Dabei möchte ich es belassen, was Fehler betrifft. Es genügt wohl zu sagen, dass – wie immer – auch jenseits eindeutiger Patzer eine große Grauzone existiert, die theoretisch »fehlerfreie« Übersetzungen von tatsächlich guten Übersetzungen trennt. Synchronisationen jedenfalls kleben allzu häufig am Wort und leisten damit unter anderem der vielfach kritisierten Verbreitung von Anglizismen (»Macht Sinn!«, »Wasser unter der Brücke!«, »Am Ende des Tages«, »Was auch immer«, »Nicht wirklich«) Vorschub.

Als ich mit dem (beruflichen) Übersetzen angefangen habe, bin ich auch bei Synchronstudios vorstellig geworden. Arrivierte Kollegen aus dem Literaturbereich warnten mich: »Das kannst du machen, aber sei dir bewusst, da geht es oft nach dem Motto: ‚Du, deine Tochter ist doch in der Schule ganz gut in Englisch …‘ Ich habe mich trotzdem beworben. Ein Studio meldete sich daraufhin sogar telefonisch bei mir und bekundete Interesse. Allerdings, setzte der Mitarbeiter gleich etwas verdruckst hinzu, zahle man »keine Reichtümer«. Auf Nachfrage konkretisierte er: 7,50 D-Mark pro Seite.

Ja, auf diesen Seiten steht nicht unbedingt viel – eine Spalte mit nicht zu übersetzenden Namen und eine Spalte mit den oft kurzen Texten der Figuren: »Yeah!«, »Nope!«, »Maybe« – das war’s häufig schon. Dennoch macht die Zahl deutlich, dass man – zumal als Freiberufler – die Seiten nur so durchpeitschen müsste, um auf einen erklecklichen Stundensatz zu kommen. Für Recherche oder Kreativ-Ausgefeiltes bleibt da kaum Zeit.

Und, ja: Wie aus der genannten Währung zu erkennen ist, ist das Telefongespräch schon lange her. Aber die Preise sind nicht gestiegen, eher im Gegenteil. Als ich im vergangenen Jahr (übrigens auf Vermittlung eines Sprechers) ein Angebot für Off-Texte zu einer Reihe von Tierdokumentationen abgeben sollte, war ich trotz bester Qualifikation und Referenzen chancenlos. Mein Wortpreis lag 200 Prozent über dem der Agentur, die den Zuschlag bekam – und diese Agentur hat ihren Sitz nicht etwa in einem Billiglohnland, sie sitzt in einer deutschen Großstadt.

Was diese Agentur (!) angesichts eines Wortpreises in Höhe von einem Drittel meiner Direktkundenpreise noch an die eigentlichen Übersetzer weiterreicht, entzieht sich meiner Kenntnis. Mitbieten konnte ich jedenfalls nicht. Mir blieb nur, der Dame vom Fernsehsender viel Glück zu wünschen.

Mehr in Teil 3.

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