Romantagebuch Teil 7: Lust an der Verdrehung

In Zeiten wie diesen

Fantasy ist (wie jedes Märchen und jeder gute alte Krimi auch) im Kern stets eine Geschichte um Problemlösungen. Am Ende ist der Drache erschlagen, die böse Königin tot, der Verbrecher gefangen. Es sind Geschichten aktiven Handelns, in denen die Protagonisten etwas bewirken und verändern können. Im Unterschied dazu lautet die Botschaft aus unserem Alltag hingegen allzu oft: Es ist nicht zu ändern.

Es gibt viele Gründe, Fantasy zu schreiben. Einer davon ist die Lust an der Verdrehung, am Auf-den-Kopf- und In-Frage-Stellen. Ich glaube, Fantasy boomt deshalb so, weil wir uns zum einen zunehmend zu einer Art Ständegesellschaft zurückentwickeln und deshalb mit Figuren aus einer mittelalterlichen Welt identifizieren können, und zum anderen, weil wir in einer beklagenswert ideenlosen und von Sicherheitsdenken geprägten Zeit leben. Ja, vielleicht sind sogar die ewigen Neuaufgüsse von Prophezeiungen im Fantasy-Genre letztlich nur ein Spiegel unserer Realität. Schließlich werden wir allüberall mit Prophezeiungen konfrontiert. Nicht nur in unseriösen Verkaufssendern mit ihrer Abzocke gibt es Kartenleger, auch die vermeintlich seriösen Nachrichten sind permanent voll davon. Ob Fachkräftemangel, Altersarmut, Demografiewandel oder Wirtschaftsprognosen: Es ist ein einziges großes Orakeln, bei dem Kaffeesatzleser Glaskugelgucker nach der Zukunft befragen.

Unsere Volksvertreter sind Verwaltungsbeamte im Geiste, die sich am »Machbaren« und den »Realitäten« entlang hangeln und deren Mantra es ist, dass die Welt »alternativlos« und unabänderlich so zu sein hat, wie sie ist. Es sind glanzlose Machtmenschen ohne Esprit, Glattbügler ohne Streitlust (oder überhaupt irgendeine Lust), politische Systemadministratoren, die, wenn wir Glück haben, in Graustufen denken, aber keinesfalls in Farben. Es sind Schildbürger, die Geld verpulvern für Prestigenbauten und uns Altbekanntes als des Kaisers neue Kleider verkaufen wollen. Und schlimmstenfalls sind es absolutistische Sonnenkönige, die an Parlamenten und Kontrollorganen vorbei ihre Strippen ziehen.

Ein Visionär ist für uns jemand, der viel Geld damit verdient, tragbare Telefone stylisch zu verpacken. Ansonsten aber gilt: Wer Visionen hat, gehört ins Krankenhaus. In Zeiten des höchsten Wissensstands und des größten Fortschritts, da die Möglichkeiten so vielfältig sind wie nie, verharren wir, hysterisch und paranoid auf die Wahrung des Bestands bedacht. Wir erstreiten uns keine Themen, wir räumen Themen ab. Die Devise lautet: Ist nicht, weil geht nicht.

Dabei ist das eine im Prinzip zutiefst feudalistische Aussage. Die Dinge sind von Gott gegeben und gefügt, der Mensch an den ihm von der natürlichen Ordnung zugeteilten Platz gesetzt, eingebunden in ein feststehendes Schicksal, das mit seiner Geburt in Stein gemeißelt ist. Freigeistiges, Unkonventionelles, Querdenkerisches findet sich in diesem Weltbild nicht.

Wer in Zeiten wie diesen Bilder verrücken will, der verpackt es wie früher der Hofnarr und schreibt (oder liest) Fantasy. Fantasy ist letztlich der einzig noch verbliebene Raum für Denkmodelle. Warum soll es keine Gesellschaft geben, in der Frauen das Sagen haben? Warum soll es keine Gesellschaft vitaler alter Menschen geben, die sich nicht nur platonisch lieben? Warum soll eine Gesellschaft nicht entscheiden, einen Mörder unter uns leben zu lassen und ihn Sozialverhalten zu lehren, bringt uns mehr, als ihn einzusperren?

Es ist denkbar, also ist es möglich.

Lesefortschritt:

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