Sexismus an Universitäten

Fahrende Züge

Ja, ich gebe es hiermit zu: Auch ich komme erst jetzt aus gegebenem Anlass mit etwas um die Ecke, das ich schon vor gut einem halben Jahr geschrieben habe und dessen Impetus sogar erheblich länger zurück liegt. Wohl deutlich über zehn Jahre dürfte es her sein, dass ich einen Bekannten von der Uni wiedergetroffen habe. An den Anlass erinnere ich mich heute nicht mehr, an den Inhalt unseres Gesprächs allerdings um so klarer.

Es war ein sonniger Tag, und während mein Bekannter und ich so über den Campus unserer alten Uni schlenderten, erzählte er mir nonchalant, er habe inzwischen eine Stelle als Dozent an einer anderen Hochschule und als solcher »natürlich« auch Liebschaften mit Studentinnen. Auf meinen dezent konsternierten (und vermutlich naiven) Einwand, dass zwischen ihm und den jungen Frauen doch ein Abhängigkeitsverhältnis bestehe, entgegnete er nur lapidar, das sei aber »normal«.

Ich bin mir nicht einmal sicher, dass mein Bekannter seinerzeit gemerkt hat, wie fassungslos ich war. Und eigentlich hätte ich auch nicht überrascht sein dürfen. Denn dazu war schon zu meiner Studienzeit einfach viel zu klar, wer mit wem was (gehabt) hatte – mit allem an Skandalen und Skandälchen, die man sich als Folge und Begleiterscheinung so vorstellen kann und derentwegen wir in Deutschland jetzt gerade (reichlich spät, aber immerhin) eine beginnende Diskussion über Sexismus haben.

Ich habe das Thema seinerzeit mit meinem Bekannten nicht ausdiskutiert. Vielleicht wollte ich nicht unhöflich sein, vielleicht wollte ich nicht als engstirniger Moralist dastehen, vielleicht wollte ich mich nicht dem Vorwurf der Verklemmtheit aussetzen, vielleicht nicht als uncool gelten. Ich weiß es nicht. Ich bilde mir ein, meinen Unmut und mein Unverständnis über das Verhalten meines Bekannten zum Ausdruck gebracht zu haben, aber ich kann leider nicht für mich reklamieren, das Thema wirklich mit ihm ausdiskutiert zu haben. Ich habe es in dem Gefühl, weltfremd zu sein und ebenso gut mit einer Wand reden zu können, verärgert fallen gelassen, das ja. Aber ich habe nicht den Streit riskiert, den ich vielleicht hätte riskieren müssen.

Dennoch hat mich das Thema umgetrieben – so sehr, dass ich es im Juli vergangenen Jahres in nachfolgender Passage verarbeitet habe. Und, ja, wieder bin ich kein Vorreiter, sondern springe auf den fahrenden Zug auf …

»Bist du nie eifersüchtig?«, wollte Theresia wissen.
»Ich will es nicht sein«, erwiderte Willem. Um Theresia nicht ansehen zu müssen, hob er das Handtuch auf, das sie nach ihm geworfen hatte, und legte es zum Trocknen über den Badewannenrand. Er wurde nur ungern daran erinnert, dass auch er »negative« Gefühle hatte. »Ich meine, gehen lassen muss ich dich ja doch.«
»Gehen lassen?« Theresia setzte sich auf den Badewannenrand und sah ihn an. Wieder wich Willem ihrem Blick aus.
»Na, nach Bremen zum Beispiel, an die Uni« erklärte er. »Lauter jüngere Typen, und vermutlich alle sportlicher, cooler, ehrgeiziger als ich. Oder die Dozenten.«
»Ach, Schatz, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mir meine Noten nicht ervögeln muss«, sagte Theresia gelassen.
»Darum geht es nicht!«, platzte Willem heraus. »Dozenten haben alle was am Start! Alle!«

Er war plötzlich genau so irrational wie Theresia zuvor. Sie betrachtete ihn aufmerksam.
»Du bist eifersüchtig«, stellte sie dann nüchtern fest.
»Ach was?«, schnaubte Willem ironisch. »Wie habe ich mich verraten?«
»Verrate mir was anderes«, sagte Theresia. »Mit wie vielen deiner Studentinnen hast du geschlafen?«

Willem überlegte einen Augenblick, ob er seine kurze Tätigkeit als Gastdozent abstreiten sollte, doch Theresia hatte wieder diesen nackt machenden Blick. Sie hätte eine Lüge ohnehin durchschaut.

»Mit keiner«, sagte er.
Es entsprach der Wahrheit. Willem verschwieg lediglich, wie oft er in Versuchung geraten war, wie oft er kurz davor gestanden hatte, es zu tun. Es wäre sanktionsfrei geblieben, im katholischen München, wo ihn sein Freund Jens vor acht Jahren hingelotst hatte. Niemand hätte ihm einen Strick daraus gedreht, wenn er junge Frauen ausgenutzt hätte, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm standen. Bis aufs Blut hatte sich Willem mit Jens darüber gestritten, der das völlig normal fand.

»Nein, natürlich nicht«, pflichtete ihm Theresia bei. »Du warst vermutlich der einzige, der ritterlich alle Angebote ausgeschlagen hat.«
»Nein«, sagte Willem. »Nicht ganz der einzige. Das zum Glück nicht.«
»Und mit wie vielen hättest du schlafen können?«, erkundigte sich Theresia.
»Weiß nicht«, druckste Willem. »Zwei, drei, vier. Vielleicht auch sechs. Oder acht. Keine Ahnung. Echt nicht.«
»Du bist echt zu gut für diese Welt«, stellte Theresia fest. Sie begann, Willems Hemd aufzuknöpfen, aber er hielt ihre Handgelenke fest.
»Ich will keinen Versöhnungssex.«
»Den kriegst du auch nicht«, erwiderte Theresia resolut. »Aber du bist nass. Und wenn du dich erkältest, kannst du mich nicht in Watte packen. Ihr Männer seid doch so wehleidig.«

(Theresias Tanz, Kapitel 17: Gewitter)

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