Gedanken zum Studium

Eigenwillige Figuren

Meine Figuren tun aus irgendeinem Grunde seit Jahr und Tag immer in gewisser Weise, was sie wollen. Egal, wie detailliert ich einen Text auch im Vorhinein konzipiere, am Ende kommt meist etwas heraus, womit ich zu Beginn des Schreibens so nicht gerechnet habe – und je tiefer ich in die Charaktere einsteige, desto häufiger ist das wohl der Fall.

Möglicherweise ist das auch der Grund, warum Schreiben für mich immer noch spannend ist: Ich weiß oft selbst nicht, was dabei heraus kommt. Ich bin meine eigene Wundertüte. Jedenfalls konnte ich das Phänomen der einen eigenen Willen entwickelnden Figuren neulich mal wieder bestaunen. Denn eigentlich sollte es, wie man am Titel des Kapitels meiner aktuellen Geschichte unschwer erkennen kann, nur um den Geburtstag der Protagonistin gehen.

Gut, de facto geht es in keinem der insgesamt 37 Kapitel, die ich in den vergangenen zwei Monaten geschrieben habe*, rein um das, was die unschuldigen Titel vermuten lassen. Aber dass sich die beiden Hauptpersonen so entlarvend zum Thema »Studium« auslassen würden, war nun wirklich überhaupt nicht vorgesehen. Nichtsdestoweniger haben sie es getan, und das kam dabei das heraus:

»Du solltest unbedingt schwimmen lernen«, riet ihm Theresia. »Das stärkt den Rücken.«
»Ich werde es in Erwägung ziehen!«, versprach Willem. »Irgendwann muss ich dich ja vielleicht über die Schwelle tragen.«
Theresia sah ihn verwundert an. »Du würdest mich heiraten?«
»Vom Fleck weg«, erwiderte Willem.
»Wow!«, sagte Theresia leise. »Ich meine – hättest du dir das vor einem halben Jahr träumen lassen?«
»Vor einem halben Jahr fand ich dich schrecklich«, antwortete Willem. »Vor einem halben Jahr fand ich mich schrecklich, mein Leben schrecklich, alles war schrecklich. Ich konnte mir nicht vorstellen … ich konnte mir nichts vorstellen.« Er sah Theresia an. »Wie war es bei dir?«

Theresia dachte nach. »Ähnlich«, sagte sie dann. »Ich konnte mir auch nichts vorstellen. Ich hatte keine Zeit dazu. Ich habe mich kirre gemacht wegen des Studiums, der Noten, der Prüfungen, der Praktika. Ich war frustriert. Ich dachte, wenn ich studiere, geht es voran, ich kann mich einbringen, mir meine Gedanken machen. Und dann habe ich festgestellt, dass so ein Studium auch nur eine Mühle ist, mit Vorschriften hier und Regelungen da …« – Willem nickte und lachte verstehend – »… und dass überhaupt nichts Eigenes und Neues gefragt ist und dass man, wenn überhaupt, dann nur in Trippelschritten vorankommt …«
»Und Form wichtiger ist als Inhalt …«, ergänzte Willem. Diesmal nickte Theresia bestätigend. »Und dann dachte ich: ‚Wow, das soll mich also zur intellektuellen Elite machen?‘ Dieses dröge Wiederkäuen von Dingen, dieses sklavische Entlanghangeln an ‚Erkenntnissen‘ anderer, anerkannter Leute, bei dem ich meine eigenen Schlussfolgerungen nur in homöopathischen Dosen einbringen kann, indem ich sie mit Thesen irgendwelcher Doktoren und Professoren kaschiere? Ja, fuck, da hätte ich auch weiter modeln können, da hat wenigstens das Geld gestimmt.«
»’Eigene Schlussfolgerungen sind ausdrücklich nicht erwünscht’«, zitierte Willem zur Bestätigung aus dem Leitfaden zu wissenschaftlichen Arbeiten seiner ehemaligen Universität.

(Theresias Tanz, Kapitel 35: Geburtstag)

*Der Blick in die Dateistatistik hat mich ebenfalls überrascht. Wow, die Kapitel sind zwar alle recht kurz, aber dass es erst zwei Monate sind, die ich an dieser Geschichte schreibe, hätte ich nicht gedacht.

Lesefortschritt:

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