Uni Leipzig führt in ihrer Grundordnung das generische Femininum ein

Fetischistische Beißreflexe

Vor zwei Wochen habe ich über gleich zwei der Berufsstände, denen ich mich zugehörig fühle – Übersetzer und Journalisten – nur noch den Kopf schütteln können. Der Grund war die mit großer Aufgeregtheit geführte Diskussion über das von der Universität Leipzig in ihrer Grundordnung eingeführte generische Femininum. Über einhundert Beiträge dazu rauschten allein an einem Tag über eine Mailingliste in meinen Posteingang. Da ich mir danach gelinde gesagt nicht mehr unbedingt sicher bin, ob wirklich alle sich äußernden Kolleginnen und Kollegen begriffen haben, um was – bzw. wie wenig – es eigentlich geht, möchte ich die ganze Sache noch einmal aufrollen.

In einer von der Universität Leipzig am 6. Juni 2013 veröffentlichten Richtigstellung heißt es: »Der erweiterte Senat der Universität Leipzig hat beschlossen, in der Grundordnung – und nur in diesem Dokument – statt der üblichen, meist männlichen Form, in der sich die weibliche Schreibweise mit einer Fußnote begnügen muss – umgekehrt vorzugehen. Die entsprechende Fußnote lautet: ‚In dieser Ordnung gelten grammatisch feminine Personenbezeichnungen gleichermaßen für Personen männlichen und weiblichen Geschlechts. Männer können die Amts- und Funktionsbezeichnungen dieser Ordnung in grammatisch maskuliner Form führen.’«

Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Niemals und nirgendwo war davon die Rede, den allgemeinen Sprachgebrauch an der Uni Leipzig verändern zu wollen, indem man beispielsweise Anreden wie »Herr Professorin« vorschreibt. Diese Ente geht allein auf eine spaßig gemeinte Überschrift bei Spiegel Online zurück. Will sagen: Den darunter stehenden Artikel zu lesen, hätte in diesem Fall schon mal gewaltig geholfen. Witzig ist freilich, dass Spiegel Online die eigene Fiktion inzwischen zu glauben scheint. So beginnt Sibylle Berg ihre treffliche Analyse »Weiblich geht die Welt zugrunde« mit den Worten: »Die Republik droht zu kollabieren. Warum? Männliche Lehrende werden in Leipzig künftig Professorin genannt.«

Genau das ist aber nicht der Fall. Dass es Leute gibt, die das überhaupt für möglich halten, kann ich persönlich mir nur folgendermaßen erklären: Entweder haben sie selbst eine Hochschule nur dann von innen gesehen, wenn sie sich mal ein verbilligtes Mensaessen geschnorrt haben und bei dieser Gelegenheit die Übertreibungen und Spötteleien der Studierenden für bare Münze genommen. Oder sie wissen sehr wohl, dass eine Universität grundsätzlich noch immer eine Ansammlung intelligenter und befähigter Menschen ist, verbreiten aber trotzdem munter weiter die Mär von den schrulligen Feministinnen, Professorinnen und Professoren.

(Okay, andererseits … wenn selbst der Dekan der Juristenfakultät am Tag der von seiner Universität veröffentlichten Richtigstellung noch glaubt, über das ihm hingehaltene Stöckchen springen und seinerseits eine Erklärung abgeben zu müssen, in der es heißt: »Kein männlicher Student der Juristenfakultät Leipzig muss damit rechnen, als „Studentin“ angesprochen zu werden«, relativiert sich hinsichtlich obiger Einschätzung womöglich doch einiges, auch wenn die Erklärung inzwischen offensichtlich vom Server genommen wurde.)

Selbst bei der Leipziger Volkszeitung – hier vor Ort also, wo man im Zweifelsfall nur hätte zwei mal lang hinschlagen müssen, um sich bei den Beteiligten persönlich zu erkundigen – hat man den Schuss offensichtlich nicht gehört. So hält etwa Gesellschaftsreporterin Kerstin Decker in ihrem Blog an die »Männer und Männerinnen« (welch fürchterlich origineller Titel) ein flammendes sparflämmelndes Plädoyer dafür, sprachlich alles bloß immer hübsch beim Alten zu belassen, weil das eben wahlweise immer schon so gewesen ist oder es »auch in Englisch, Französisch und Russisch« so sein soll, dass »Wenn es um eine Gruppe geht, zu der Männlein und Weiblein gehören, der männliche Mehrzahlbegriff verwendet wird«. Dabei ist das zumindest mit Blick auf das Englische – Stichwort gender loss – so schlicht und einfach falsch.

Überhaupt schafft es Decker ganz wunderbar, sich selbst zu widersprechen. Sie schreibt zwar »Ich plädiere für großzügige Gelassenheit«, wirft aber zugleich mit Begriffen wie »Weiber-Krampferei«, »Folter« und »Rumgeeiere« um sich. Wahrlich großzügig, in dieser Wortwahl Gelassenheit zu sehen.

Das Schönste an ihrem Blog ist aber freilich folgender Satz: »Es hätte natürlich genausogut andersrum sein können, wenn seit Jahrzehnten und Jahrhunderten die weibliche Mehrzahlform für gemischte Gruppen verwendet würde.«

Aha! Es hätte also auch andersrum sein können, sieh an. Jetzt ist es eigentlich nur noch ein ganz kleiner Schritt weg vom Konjunktiv hin zu »Es könnte nicht nur, es kann auch andersrum sein«. Und genau diesen Schritt hat der erweiterte Senat der Universität Leipzig mit seiner Entscheidung vollzogen, nicht weniger und erst recht nicht mehr. Das kann man schlecht finden oder überflüssig. Mehr als eine Meinung, ein Gefühl, eine rein subjektive Präferenz wird es indes nie sein. Vor allem aber wird das ganze Gesülze von »Herr Professorin« und Co. schlicht nicht wahrer, wenn es nur oft genug wiederholt wird.

Im übrigen stimmt es auch nicht, dass es sich bei der Sprachregelung, die der erweiterte Senat der Universität Leipzig für ein einziges Dokument (ich kann das immer wieder nur betonen: für ein einziges, lumpiges Dokument!) eingeführt hat – mehr oder minder spaßeshalber und überhaupt nicht mit den politischen oder »politisch korrekten« Hintergedanken, die ihm nun immer wieder unterstellt werden noch dazu – um ein Novum handelt. Schon 2008 hat die Technische Hochschule Karlsruhe für die Studien- und Prüfungsordnung des Masterstudiengangs Maschinenbau eine ähnliche Regelung getroffen. In der entsprechenden Bekanntmachung heißt es: »In dieser Satzung wurde nur die weibliche Sprachform gewählt. Alle personenbezogenen Aussagen gelten jedoch stets für Frauen und Männer gleichermaßen.«

Noch früher hat die Gemeinde Hasloh in Schleswig-Holstein ihre Hauptsatzung umgestaltet. Schon seit mindestens 2003 wird darin das generische Femininum verwendet, und nie hat ein Hahn danach gekräht – warum auch? Völlig überraschend ist das Abendland ja nicht untergegangen. Wer also jetzt ins Schwimmen kommt, weil ihn die Entscheidung an der Uni Leipzig plötzlich verunsichert, der ist damit wahlweise fünf oder zehn Jahre zu spät dran.

Nun will natürlich niemand so recht zugeben, dass ihm dieser ganze »Gleichberechtigungs-Irrsinn« (Bild.de, 5. Juni) und »Gender-Wahn« (rtl.de, 4. Juni) einfach nur ein ungutes Gefühl bereitet, lästig ist, ungewohnt ist, zu blöd ist oder was auch immer. Deshalb folgt in der Berichterstattung über vermeintliche oder tatsächliche politisch korrekte sprachliche Neuregelungen auf die Verweigerunghaltung (»Da weiß man ja gar nicht mehr, was man überhaupt noch sagen darf!«) – was, weil freie Meinungsäußerung, ja vollauf legitim wäre – immer noch eine weitere Phase: die des pseudo-kreativen und pseudo-logischen Übersteigerns und Lächerlichmachens.

Die abgedroschenste Variante dessen ist, einfach mal an alle möglichen Begriffe ein -in anzuhängen oder alles zum Neutrum zu erklären – alles schon zig mal dagewesen. Aber, Hysterie will teach us nothing, schlimmer geht natürlich immer. Als ein Beispiel von vielen, vielen anderen möchte ich an dieser Stelle noch einmal die Leipzigerin Kerstin Decker zitieren. Sie schreibt: »Sagen wir ab Stichtag 1. Januar 2015 legen wir einfach fest: Jedes Baby, was dann mit Pullermann geboren wird, ist weiblich und jedes ohne männlich. Dann wird die Schwiegermutter zum Schwiegervater, statt eines Chefs habe ich dann eine Chefin, und die Männer bekommen die Kinder. Dann geht es in Ordnung, wenn die Uni ihre Professoren (mit männlichem Geschlechtsteil) Professorin nennt.«

Das ist natürlich nicht originell. Es ist auch nicht witzig, sofern man nicht vielleicht beim Wort »Pullermann« noch rote Ohren bekommt und in präpubertäres Glucksen und Kichern verfällt. Es ist einfach nur ausgemachter Blödsinn. Decker macht schlicht das, was Gegner sprachlicher Änderungen immer machen: Verdrehen, überdrehen und das, was sie als übertrieben empfinden, noch weiter übertreiben. Blöd halt nur, wenn sie sich dabei über etwas echauffieren, was es gar nicht gibt. Doppelt blöd, wenn sie dafür auch noch das Pulver ihrer offensichtlich knapp bemessenen Kreativität verschießen.

Ganz wichtig bei diesem schon fetischistischen Beißreflex des Diskreditierens sprachlicher Neuregelungen ist auch, dass man unbedingt die Begriffe »Logik« und »Konsequenz« mit reinbringt. Auch Decker ruft ja danach. Das Strickmuster ist dabei immer gleich: »Wenn«, so die brachial-lineare Argumentation, »man dieses und jenes so und so ausdrückt, müsste man doch analog dazu das und das auch so und so ausdrücken.«

Die Antwort darauf lautet natürlich schlicht: Nö. Müsste man nicht. Denn nach dieser Aus-A-folgt-B-Logik versuchen sich allenfalls Kinder in einer bestimmten Entwicklungsphase Sprache zu erschließen – und jedem dieser Kinder bringen wir selbstverständlich bei, dass es »gegessen« heißt, aber nicht »gegeht«, sondern eben »gegangen«, und »zwei Autos«, aber eben zwei »Krankenwagen« und nicht etwa »zwei Krankenwagens«. Oder, anders gefragt: Ist Sprache jetzt logisch und wird sie erst durch möglichst nicht diskriminierende Regelungen unlogisch?

Nun sollte mich das aktuelle Rauschen im Blätterwald ja eigentlich nicht wundern. Die Erkenntnis, dass, wer hinter der Herde herläuft, nicht das Gras zu fressen bekommt, ist zu vielen Journalistinnen und Journalisten anscheinend noch nicht durchgedrungen. Bevor man irgendein heißes, gesellschaftlich relevantes, zeitgeistiges Thema verpasst, haut man lieber erst mal was raus. Die Prüfung der Fakten ergibt sich dann (mit etwas Glück) aus dem Feedback der Leserschaft. Korrigieren kann man sich daraufhin dann später ja immer noch.

Lesefortschritt:

2 Antworten

  1. Ich schließe mich an. Erstaunlich, wie viel Unsinn da geschrieben, immer wieder abgeschrieben und geglaubt worden ist. Danke!

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